30.09.2020 11:41
von Torsten Vogel

Duzen oder Siezen?

Der Wandel der Unternehmenskultur

Jung, innovativ und dynamisch – mit dem Du. Durch die fortschreitende Globalisierung findet ein Kulturwandel statt und mit der Digitalisierung hat sich die englische Sprache eingeschlichen. Start-ups übernehmen das sowohl privat als auch geschäftlich eingesetzte „you“ – also „Du“ – und konstruieren so eine ungezwungene, nonchalante Unternehmenskultur und ein Image, mit welchem sich alteingesessene Unternehmen im Kampf um junge Talente zwangsläufig befassen müssen.

Für und gegen das Duzen und Siezen sprechen verschiedenste Aspekte. Einerseits schafft das Duzen eine gemeinsame Basis, der Teamgeist sowie das „Wir“-Gefühl werden gestärkt, die Distanz zwischen den Hierarchien nimmt ab und die Kommunikation kann sowohl direkter als auch weniger befangen ablaufen. So kann ein freundlicheres und offeneres Arbeitsklima geschaffen werden, in welches neue Kollegen jeder Nationalität und jeden Alters mühelos aufgenommen werden. Andererseits kann das Du gerade für „Neulinge“ ein Problem darstellen, weil hierarchische Positionen verschwimmen und unklar scheint, wie mit wem Rücksprache gehalten werden muss. Zudem kann ein kameradschaftliches Verhältnis zwar suggeriert werden, dennoch muss es nicht zwangsläufig mit dem tatsächlichen Betriebsklima übereinstimmen. Verhält sich eine Führungsperson affektiert oder antagonistisch zu den vermittelten Werten, sorgt das Du eher für Unwohlsein und Unsicherheit. Die Grenzen vom Privat- zum Berufsleben verwischen, wodurch der respektvolle Umgang, besonders in Konflikten und Stresssituationen, gefährdet ist. Es wird eher über private Anliegen geplaudert und die Hemmschwelle, unangemessene Äußerungen zu tätigen, sinkt.

Professionelle Distanz und der freundliche, respektvolle Umgang, insbesondere in Konfliktsituationen, sind mit dem Siezen weniger problematisch. Denn speziell in disziplinarischen Gesprächen, Gehaltsverhandlungen oder bei der Offenbarung einer Kündigung, ist das freundschaftliche Du absolut unvorteilhaft. Zwar ist die Unternehmenshierarchie für neue Mitarbeiter unmittelbar ersichtlich, jedoch kann dieses statische System altmodisch und distanziert wirken und dabei effektives, agiles Arbeiten beeinträchtigen. Das Gemeinschaftsgefühl, die Vertraulichkeit, muss auf eine andere Art und Weise aufgebaut werden. Zudem besteht die Gefahr, dass autoritäres Verhalten in Führungspositionen gefördert wird und bei unklaren Regelungen der Eindruck entsteht, dass der Einzelne, durch das unterschiedliche Duzen und Siezen, mehr oder weniger gut mit bestimmten Kollegen klarkommt.

Das Du bietet der Vorgesetzte dem Nachrangigen, der Ältere dem Jüngeren und die Dame dem Herrn an. Ein einseitiges Du ist laut traditioneller Knigge-Benimmregeln nicht existent, die Kommunikation auf Augenhöhe funktioniert nur dann, wenn Höhergestellte wie Vorbilder agieren und ihre Mitarbeiter ebenfalls siezen, wenn sie selbst diese Ansprache erwarten. Ganz wichtig: ist einmal das Du beschlossen, gilt es lebenslänglich, alles andere kommt einer Herabwürdigung gleich! Scheinbar altmodisch, ist diese Etikette nach wie vor verlässlich in der diffizilen Bürokommunikation.

Im Großen und Ganzen kommt es auf den Umgangston und die Einheitlichkeit in den Unternehmens-Richtlinien an, denn auch das Du kann mit Stil und Etikette gestaltet werden, sofern die Atmosphäre korrespondiert und Höflichkeit auch bei geringer Distanz eine Selbstverständlichkeit darstellt, bei der Wertschätzung und Respekt vermittelt wird. Bei einem Neueinstieg sollte man sich zunächst die Knigge-Etikette zu Herzen nehmen, bis sich die vorherrschende Unternehmenskultur herauskristallisiert hat. Ein charmanter Kompromiss ist das „hanseatische Sie“, bei dem der Vorname mit dem „Sie“ kombiniert wird. Die Einheitlichkeit der Ansprache im Unternehmen ist deshalb so bedeutsam, um den Eindruck einer Zwei-Klassen-Gesellschaft zu vermeiden. Aber: Respekt und Wertschätzung kommen nicht automatisch mit dem Siezen. Höflichkeit ist eine Grundhaltung, die auch bei Antipathie und Konflikten Takt und Anstand garantiert, irrelevant, ob das Duzen oder das Siezen in der Unternehmenskultur verankert ist.

Zurück

Copyright © strategie:p