29.10.2020 11:36
von Torsten Vogel

Trend Agilität – Fluch oder Segen?

„Success today requires the agility and drive to constantly rethink, reinvigorate, react, reinvent.“ – Bill Gates

Agilität. Ein Begriff der Neuzeit, welcher anfänglich eine Inspiration für junge und innovative Unternehmen darstellte, wurde unterdessen fest mit der Digitalisierung verknüpft. Zukunftsmusik, die unter dem Druck der schnelllebigen Gesellschaft Anerkennung und Erfolg verspricht. „Wir werden agil!“ – Doch was genau heißt das überhaupt? Und hier setzen die ersten Schwierigkeiten an.

Gabler Wirtschaftslexikon: „Agilität ist die Gewandtheit, Wendigkeit oder Beweglichkeit von Organisationen und Personen bzw. in Strukturen und Prozessen. Man reagiert flexibel auf unvorhergesehene Ereignisse und neue Anforderungen. Man ist, etwa in Bezug auf Veränderungen, nicht nur reaktiv, sondern auch proaktiv.“ Die Dimensionalität der Agilität umfasst vielfältige Facetten: Geschwindigkeit, Flexibilität, Anpassungsfähigkeit, Dynamik, Vernetzung, Vertrauen, Wertschätzung und Selbstorganisation. Das klingt vielversprechend, effizient und ökonomisch, Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit garantiert. So wird es zumindest suggeriert.

Das Herz eines jeden Unternehmens ist seine Belegschaft. Mithilfe der Agilität können Mitarbeiter aktiver bedeutsame Teilhabe leisten. Ihnen wird mehr Vertrauen entgegengebracht, wodurch die Motivation, positive Ergebnisse hervorzubringen, beflügelt wird. Zwei wesentliche Faktoren entscheiden, ob das agile Vorgehen von Erfolg gekrönt ist: ein positives Menschenbild sowie eine adäquate, konstruktive Kommunikation. Denn wird davon ausgegangen, dass das Individuum faul, undiszipliniert und chaotisch ist, kann kein Fundament für einen Austausch auf Augenhöhe geschaffen werden.

Kaffeepause statt Scrum-Meeting, chronische Überforderung, Unklarheiten über Hierarchie und Aufgabenverteilung, schleppende Entscheidungsverfahren – denn trotz all der Bemühungen und dem Streben nach einer fruchtbareren Zukunft, ist die Agilität keine universelle Lösung. Tiefliegendes, hierarchisches Gedankengut ist nur mühevoll aus der Geschäftsetage zu verbannen, und genau das ist es, worauf es ankommt. Nicht (nur) das Handeln, sondern insbesondere das Denkmuster, die Einstellung zur Tätigkeit, ist relevant. Lässt der Arbeitgeber plötzlich die Führung fallen und uneingeschränkte Freiheit walten, bricht Panik aus. Gut gemeint ist zweifelsfrei kontraproduktiv, da die benötigten kognitiven Prozesse noch nicht ausgebildet werden konnten. So triggert diese unerwartete Autonomie destruktive Gruppendynamiken und abträgliche Machtgefälle. Aber selbst bei einer optimalen Verwirklichung der agilen Methodik, ist die Schwierigkeit, dass immer mehr Arbeit als Ressourcen da sind, nicht gelöst. Dynamischer, angepasster, fokussierter – bis die Welle der Erschöpfung ganze Teams mit sich in den Burn-Out reißt.

Traditionelle Unternehmen scheitern an dem agilen Prozess, wenn sie das starre Konstrukt der Theorie blind in ihre Praxis pressen wollen. Das Konzept blüht nur auf, wenn die individuell anpassbare Methodenmatrix an die vorherrschende Unternehmenskultur adaptiert wird. Wertschätzung, Vertrauen und Transparenz zwischen den Abteilungen gelten als Voraussetzung.

Um das Konzept der Agilität wirksam und nachhaltig zu verankern, ergibt es Sinn, zunächst auf Führungsebene eine agile Organisation zu verwirklichen und anschließend die Kollegen nach und nach an die basalen agilen Leitlinien, an die neuen Strategien und Strukturen, heranzuführen. Eine langfristige, konsequente und fokussierte Umsetzung fördert das proaktive Mitwirken am Markt und sichert stetige Modifikation und Innovation. Aber werden die Methoden nicht adäquat gewählt und durchgeführt, hilft auch die beste Strategie nichts, selbst, wenn sie die Lösung aller Schwierigkeiten und den Ausgangspunkt für den Erfolg in anderen Unternehmen darstellt.

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